Rudolf Steiners Notizen neu entdeckt – der digitale Band eGA 47/48
„Ich habe im Gebrauche, eigentlich alles das, was sich mir ergibt aus der geistigen Welt, immer mit dem Stift in der Hand aufzuschreiben, zu formulieren, entweder in Worten oder in irgendwelchen Zeichnungen. Dadurch ist die Anzahl meiner Notizbücher viele Wagenladungen.“ (Rudolf Steiner)
Doch nicht nur Wagenladungen an kleineren oder größeren rot, grün, schwarz oder violett eingebundenen Büchlein, auch Tausende Einzelblätter vom kleinen Zettel bis zum gefalteten Bogen sind es, die den Notizschatz des Rudolf Steiner Archivs ausmachen. Ein Schatz, der seit 2020 Stück für Stück gehoben und der in einer seit März 2022 kontinuierlich fortschreitenden Edition der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Mit dieser rein digitalen Ausgabe, die in die Plattform der Online-Gesamtausgabe integriert ist, beschreiten die Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung als Herausgeberin und der Rudolf-Steiner-Verlag als Verleger neue Wege.
Vielfalt von Rudolf Steiners Notizen
In unzähligen Büchlein, Blöcken und Einzelblättern unterschiedlichster Farben, Formen und Macharten hat Rudolf Steiner Gedanken aller Art festgehalten. Es finden sich darunter einzelne Manuskriptseiten, Fragmente und Vorstufen zu Abhandlungen ebenso wie Zeichnungen, Briefentwürfe, Eurythmieformen, Wortfindungsversuche, Termine und Berechnungen. Bei den Notizbüchern (NB) kommen neben gewöhnlichen gebundenen, meist unlinierten Exemplaren, zum Beispiel einer in violettes Wachstuch gebundenen Serie von 1919/1920, auch (mitunter selbst hergestellte) Leporellos, Ringbücher, Hefte, Adressbücher und Kalender vor, sowie ungewöhnliche überlange Formate und Mini-Größen. Die Einträge präsentieren sich zumeist in Bleistift, schwarzer Tinte oder violettem Farbstift. Noch individueller sind die Notizzettel (nz); mit ihren unterschiedlichen Formaten, Papiersorten und Faltungen bieten sie einen vielseitigen Gestaltungsraum, den Steiner oft äußerst kreativ auszunutzen wusste. Gerade diese Notizblätter machen schöpferische Denkprozesse (und Sackgassen) auch durch ihre Materialität sichtbar, wie ehemals von Mitarbeitenden aus dem Papierkorb geborgene Zettel, denen heute noch anzusehen ist, dass sie zusammengeknüllt (z. B. NZ 58) oder wie NZ 1 auf untaugliches Kleinstformat gefaltet und gerollt wurden (vielleicht zur Stabilisierung eines wackelnden Tisches?).
Während Rudolf Steiner selbst seine Notizen für den jeweiligen Augenblick verfasste und sie, wie er einräumte, danach «nie wieder» anschaute, geben diese Aufzeichnungen heutigen Lesenden einzigartige Einblicke sowohl in die Denk-, Werk- und Ideengeschichte als auch in Steiners Biografie und Lebensorganisation. Sie stellen oft die einzigen Zeugnisse von Gedankengängen und auch Ereignissen dar, die innerhalb des Werks so nicht (mehr) sichtbar sind. Als Zeitzeugen werfen sie ein neues, sehr authentisches Licht auf das Bild der Person Rudolf Steiners und ihr Wirken.
Weiterlesen bei „Das Goetheanum“
Autoren: ANDREA LEUBIN und MONIKA PHILIPPI